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USA 2016

217 Kilometer mit dem Wind

Endlich Rückenwind! Das musste ausgenutzt werden. Es rollte sich gut und am Ende schaffte ich es, die 200er-Marke zu knacken. Aber so flach wie erwartet war Kansas bisher nicht.

„Kontinentales Frühstücksbuffet“

Mein Morgen startete erst einmal damit, den teuren Preis für die Motel-Übernachtung beim Frühstücks-Buffet wieder herauszuholen. Leider war die Auswahl beim „kontinentalen Frühstücksbuffet“ mal wieder recht dürftig, aber immerhin war ich der Erste – so gab es genug zum satt werden. Während ich noch an meinem Oatmeal saß, kamen zwei andere Radfahrer rein, die anscheinend gestern Abend erst sehr spät angekommen waren. Die beiden Rentner fuhren allerdings von Süden nach Norden. Gesprächig waren sie so früh am morgen aber noch nicht. Ich beeilte mich dann auch mit meinem Frühstück und saß bereits vor halb neun wieder im Sattel – immerhin hatte ich vor, heute eine lange Distanz zu packen.

Blick zur Seite: Manchmal muss man die Augen auch mal von der Straße nehmen, um die Landschaft und das hier noch gute Wetter einzufangen
Blick zur Seite: Manchmal muss man die Augen auch mal von der Straße nehmen, um die Landschaft und das hier noch gute Wetter einzufangen

In 141 Kilometern rechts abbiegen

Als ich die Strecke auf meinem Garmin aktivierte, gab es einen kleinen Rekord: Noch nie zuvor wurde mir eine so weite Strecke bis zur nächsten Abbiegung angezeigt. 141 Kilometer standen dort auf dem Display. Geradeaus verlief die Strecke aber keineswegs – sowohl in der horizontalen als auch in der vertikalen. Doch erst einmal ging es tatsächlich fast 60 Kilometer nur geradeaus, dafür aber ordentlich auf und ab. Und ich muss zugeben: Dieses erste Viertel der heutigen Etappe streckte sich ganz schön. Vom angekündigten Rückenwind spürte ich gar nichts und die Hügel zehrten schon ganz schön an den Beinen. Ich zweifelte auf diesem Abschnitt sogar daran, die 200 heute wirklich zu packen. Nach knapp 50 Kilometern gönnte ich mir also erst einmal eine kleine Pause für ein zweites Frühstück.

Wenn es rollt, dann rollt’s

Ich weiß nicht, ob es tatsächlich an der in der Pause gegessenen Banane, an dem erst jetzt wirkenden Frühstück aus dem Motel oder am jetzt plötzlich einsetzenden Rückenwind lag: Aber von nun an ging es sehr gut voran. Die letzten Hügel waren fürs erste geschafft, die Strecke folgte jetzt nämlich größtenteils dem Verlauf eines kleinen Flusses, so dass es meist flach blieb. Und der Wind schob mich jetzt endlich gut an, so dass mein Tacho zwischenzeitlich über 30 km/h zeigte, ohne dass ich groß treten musste. So könnte es von nun an gerne immer weitergehen. Ziemlich schnell war ich dann auch in Beloit, wo ich nach knapp 90 Kilometern eine etwas größere Mittagspause einlegte – mal wieder bei Dairy Queen, das mittlerweile auch zu meinen Fast-Food-Favoriten zählt. Im Gegensatz zur bisherigen Strecke war hier sogar richtig was los – ich fand kaum einen Platz. Anscheinend war halb Kansas zum Mittagessen hier.

Cawkas City wirkte fast wie ausgestorben - aber immerhin hatte die Ortsdurchfahrt vier Spuren
Cawker City wirkte fast wie ausgestorben – aber immerhin hatte die Ortsdurchfahrt vier Spuren. Und es gab hier eine spannende Attraktion

Das größte Wollknäuel der Welt

Mit neuer Stärkung ging es im gleichen Tempo weiter. Leider hatte sich zwischenzeitlich der blaue Himmel verabschiedet und hinter einer grauen, dicken Wolkendecke versteckt. Es kamen sogar ein paar Tropfen Nieselregen herunter, die aber nicht wirklich störten. Und so ging es fix weiter. Zwischen den langen Abschnitten durch noch nicht bewachsene Felder und viele Wiesen durchquerte ich immer wieder kleinere Siedlungen, die immer fast wie ausgestorben wirkten – vielleicht lag es auch nur daran, dass Sonntag war. Aber viele ehemalige Läden oder Tankstellen waren mittlerweile verlassen oder gegen Automaten ausgetauscht worden – ein irgendwie trauriges Bild. In Cawker City hatte die Ortsdurchfahrt dann paradoxerweise sogar gleich vier Spuren. Und in diesem Ort sah ich sogar auch eine kleine Attraktion: Es gab hier das größte Wollknäuel der Welt. Auch Kansas hat was zu bieten! Extra anhalten wollte ich dafür dann aber doch nicht.

Nach 143 Kilometern endlich abbiegen - das hieß aber auch Abschied nehmen von der Route 24
Nach 143 Kilometern endlich abbiegen – das hieß aber auch Abschied nehmen von der Route 24

Abschied von Route 24

Auf Cawker City folgte eine ziemlich lange Passage immer geradeaus. Und mit jedem Kilometer nahm mein Tempo etwas ab – einerseits flaute der Wind etwas ab, andererseits waren die Akkus jetzt so langsam auch wieder gut aufgebraucht. Aber ich wollte wenigstens noch bis zum Abzweig durchhalten, auf den ich ja mittlerweile seit über sechs Stunden hinarbeitete. Und dann irgendwann kam er endlich: Der Abzweig. Das hieß auch, dass ich mich jetzt final von der Route 24 verabschieden musste, der ich seit Illinois ja immer wieder für einige auch längere Abschnitte gefolgt war. Mach’s gut, treuer Begleiter! Nach einer kurzen Abschiedspause ging es dann endlich auch wieder im Eiltempo weiter. Sowohl Energie als Wind waren wieder vorhanden.

Von wegen Kansas ist „flatter than a pancake“

An einigen Abschnitten entfernte sich die Strecke immer wieder etwas weiter vom Fluss, was sich direkt in den wieder aufkommenden Hügeln bemerkbar machte. Ich war mittlerweile mitten in Kansas und hatte eigentlich immer die Vorstellung, dass es hier komplett flach sei. Immerhin sagte mir nicht nur Wikipedia, dass die westlichen zwei Drittel von Kansas „flatter than a pancake“ seien. Jeder, dem ich bisher begegnet bin, bestätigte mir das immer. Zumindest hier im nördlichen Kansas scheinen sie alle nicht Recht zu haben. Und so kämpfte ich mich mit bereits über 150 Kilometern in den Beinen wieder einige steile Anstiege hinauf – teilweise über 5%. Auch insgesamt ging es immer bergauf und mittlerweile bin ich schon fast wieder auf dem gleichen Höhenniveau wie in den Appalachen, wenn auch mit deutlich weniger kurzen und knackigen Anstiegen. Bis Colorado werde ich auch noch einige weitere Höhenmeter erklimmen müssen, was sich aber auf 500 Kilometer verteilt kaum bemerkbar machen wird.

Nichts mit Pancake: Auf die letzten Kilometer der heutigen Etappe zeigte Kansas noch mal, wie wellig es sein kann
Nichts mit Pancake: Auf die letzten Kilometer der heutigen Etappe zeigte Kansas noch mal, wie wellig es sein kann

Geografisch bereits die Hälfte geschafft

Mittlerweile war ich in Osborne County, in dem das geografische Zentrum der zusammenhängenden Vereinigten Staaten liegt – also abgesehen von Alaska und den Inseln. Zumindest per Blick auf die Karte hatte ich jetzt also so ziemlich die Hälfte meiner Kontinentaldurchquerung geschafft – kilometertechnisch wird die zweite Hälfte wohl noch etwas länger werden. Hinter Harlan tauchte dann während eines Anstiegs dann plötzlich die Freiheitsstatue auf. Nein, keine Halluzinationen – irgendein Club hatte hier ein Miniaturmodell gestiftet. Ich dachte erst, das hier wäre der zentralste Punkt der USA, aber der lag dann doch noch einige Kilometer weiter nordöstlich von mir. Dennoch ein perfektes Fotomotiv zur Feier der geografischen Hälfte.

Ruhetag mit Badewanne und HBO

Die letzten 50 Kilometer der heutigen Etappe streckten sich dann doch noch wieder. Ich wusste an diesem Punkt, dass ich es heute noch bis nach Phillipsburg schaffen werde und reservierte mir schon einmal sicherheitshalber mein Zimmer im Motel – ich wollte jetzt kein Risiko eingehen und freute mich schon sehr auf eine warme Dusche, denn der heutige Tag war mal wieder recht kühl und ich trug die gesamte Etappe meine Arm- und Beinlinge sowie die Windjacke. Und jetzt gegen Abend frischte es noch einmal etwas auf. Die Kilometer verstrichen wieder nur sehr langsam, aber irgendwann erreichte ich dann endlich Phillipsburg. Juhu! Mit 217 Kilometern im Sattel hatte ich mir die Nacht im Motel mehr als verdient. Und der Blick aufs Regenradar zeigte mir: Morgen soll es den ganzen Tag durchregnen. Also direkt zwei Nächte gebucht – man gönnt sich ja sonst nichts. Und obwohl das Motel hier sogar günstiger war als das in Clay Center, ist es das bisher beste: Das Zimmer ist sehr groß, ziemlich frisch renoviert mit modernen Möbeln und einem großen Bad mit Badewanne. Außerdem hat der große Flat-Screen HBO, so dass ich den Abend nach meiner Pasta bei Pizza-Hut direkt mit der neuesten Folge „Game of Thrones“ ausklingen ließ.

Die Etappe auf Strava

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