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USA 2016

Willkommen in Amerika

Was als verregneter Tag mit einigen Pannen begann, endete mit mal wieder wahnsinnig gut und mit vielen neuen Erfahrungen im Land der unbegrenzten Möglichkeiten.

Später Start in den Tag

Die Nacht bei Gordon im eigenen Gästezimmer war mal wieder sehr bequem und erholsam, zudem regnete es morgens wie angekündigt – ich kam also ausnahmsweise mal etwas später aus dem Bett. Da Gordon bereits früh zur Arbeit musste, hatte er mir angeboten, mich einfach zu bedienen und mir selbst Frühstück zu machen. Gesagt, getan: Es gab Rührei und Haferflocken. Außerdem hatte Gordon mir noch Bananen, Avocados, Eier und Nüsse für den Tag hingestellt – so viel, dass ich gar nicht alles in die Taschen kriegte. Während ich an meiner Schale Haferflocken arbeitete, checkte ich noch einmal den Wetterbericht. Der Wind würde weiterhin stark von Ost wehen, allerdings sollte es im Laufe des Tages immer wieder Schauer geben. Ich wollte aber wenigstens abwarten, bis der aktuelle Regen etwas aufhört.

Die Luft ist raus

Gegen halb zehn ging ich dann endlich aus dem Haus. Als ich gerade alle Taschen am Rad und mein Regencape an meinem Körper befestigt hatte, plötzlich ein Schock: Der Hinterreifen hat kaum noch Luft. Aber es war noch etwas drin. Kurze Denkpause im Kopf: Neuer Schlauch oder einfach nur Luft nachfüllen? Aufgrund der Kälte und der bereits fortgeschrittenen Zeit – es standen immerhin wieder einmal 160 Kilometer an – entschied ich mich für die zweite Option. Ich nutzte also die Standpumpe in Gordons Garage und konnte, nachdem ich wieder alle Taschen befestigt hatte, endlich mit genug Druck auf dem Hinterrad starten.

Nass von allen Seiten

Es war immer noch gut am regnen und innerhalb von Sekunden war alles nass. Doch das Regencape funktionierte tadellos: Alles darunter blieb trocken. Außerdem erfreute ich mich zweier zusätzlicher Funktionen: Unter dem luftdichten „Dach“ staute sich auch die Wärme etwas und so war es trotz der zehn Grad wohlig warm. Außerdem konnte ich das Cape als Segel benutzen und so den Rückenwind perfekt ausnutzen. Die ersten Kilometer verflogen so wieder wie im Flug, auch Hintern und Knie hatten mal ausnahmsweise nichts zu meckern. Nach bereits etwa einer Stunde hatte ich die Regenfront durchfahren und es wurde endlich trockener. Meinen neongelben Umhang behielt ich aufgrund der Wärme- und Segelfunktionen aber trotzdem noch weiter an.

Nicht modisch, aber äußerst funktional
Nicht modisch, aber äußerst funktional

Luft-Nachschub

Zum Glück piept mein Garmin, wenn ich abbiegen muss – denn das sah ich durch das Cape nicht mehr. Ebenso wenig sah ich das Hinterrad, das sich mittlerweile wieder irgendwie leerer anfühlte. Als ich gerade die südlichen suburbanen Vororte von Toledo durchquert hatte, spürte ich plötzlich jeden Stein und jede Kante auf der Straße. Die Luft war wieder fast raus. So wie es aussah, lag das Problem am Ventil. Zwei Stunden hatte ich bereits mit wieder voll aufgepumpten Reifen gefahren, ich entschied mich also wieder nur fürs Nachpumpen. Mit neuer Luft ließ sich der Rückenwind auch wieder voll ausnutzen.

Fast zehn Kilometer konnte ich heute wieder einen eigenen Trail genießen
Fast zehn Kilometer konnte ich heute wieder einen eigenen Trail genießen – doch die Bäume raubten mir meinen Rückenwind

Und plötzlich ein weiterer Trail

Einige Kilometer später bog ich bereits wieder ab. Ich erwartete eine weniger befahrene, parallel verlaufende Backroad. Doch mich erwartete tatsächlich wieder ein perfekt ausgebauter Fahrrad-Trail. Natürlich ließ es sich hier ohne Verkehr ungestört rollen, doch einen großen Nachteil hatte dieser Radweg jetzt für mich: Er war natürlich windgeschützt von Hecken umgeben – was bei Gegenwind ein willkommener Vorteil gewesen wäre. Ich konnte jetzt aber kaum noch den Rückenwind genießen. Außerdem verlor ich schon wieder schnell Luft und damit auch etwas die Motivation. Wieder nachpumpen.

Ernüchterung pur: Der eigentlich noch kilometerlange Trail wird zur MTB-Strecke
Ernüchterung pur: Der eigentlich noch kilometerlange Trail wird zur MTB-Strecke

Abruptes Ende der schönen Strecke

Das Garmin zeige mir eine ewige Distanz auf dem sogenannten „Wabash Cannonball Trail“ an, ich glaube es waren über 30 Kilometer. Dennoch gab es nach etwa einem Drittel wieder die übliche Überraschung: Schotter. Ich hätte es wissen müssen. Doch das war kein normaler Schotter, das sah eher nach Wirtschaftsweg für Schwergeräte im Wald aus. Gerade mit dem Hinterrad wollte ich mir das nicht antun und improvisierte kurzerhand auf normale Straßen. Das klappte auch ganz gut, jetzt konnte ich endlich auch wieder den Rückenwind genießen. In Delta war aber wieder die Luft aus dem Reifen. Jetzt reichte es mir, ich wollte lieber einmal die Zeit für einen Schlauchwechsel investieren und dafür nicht mehr Nachpumpen müssen.

Da war schon wieder alles getan
Da war schon wieder alles getan

Wie im Paradies

Der Schlauchwechsel hatte sich gelohnt. Mein Durchschnittstempo steigerte sich drastisch und es rollte sich wunderbar bequem und sorgenfrei über die Route 20A, der ich jetzt für ziemlich lange Zeit folgen würde. Passenderweise kam zwischenzeitlich sogar die Sonne heraus. Schneller als gedacht war ich in Wauseon, wo ich kurz Mittagspause einlegte und außerdem für meine heutigen Hosts noch Gummibären als kleines Mitbringsel kaufen wollte. Es stand also der erste Besuch bei Walmart an – der bisher größte Supermarkt auf meiner Reise. Es war ein bisschen wie im Paradies. Hier wäre ich am liebsten sofort eingezogen: Diese riesige Auswahl, all diese amerikanischen Marken, diese übergroßen Pakete und vor allem die im Vergleich bisher günstigsten Preise. Schade, dass meine Gepäcktaschen schon recht voll waren. Trotzdem ging es mit etwas mehr als nur einer Tüte Haribo und Werthers Original zurück aufs Rad.

Die ersten Hundesprints

Die nächsten Kilometer verfolgen ebenso wie im Flug. Auf ebenen Abschnitten konnte ich meist sogar über 30 km/h schnell rollen, ohne dass ich wirklich viel treten musste. Dank des Rückenwindes hörte ich trotzdem nur das Rollgeräusch des Rades – Musik in meinen Ohren. Hinter Elmira ging es für kurze Zeit etwas nördlicher, was sich sofort bemerkbar machte: Der Wind half mir plötzlich kaum noch und ich sank wieder auf meine knapp 25 km/h Reisegeschwindigkeit ab. Hinter Montpelier wiederholte sich das Spiel, als ich auf kleinere Backroads wechselte, um meinem Tagesziel näher zu kommen. Hier scheint üblicherweise kaum Verkehr zu sein – und erst Recht keine Radfahrer – so dass zu meinem Übel einige Hunde in den Gärten nicht angeleint waren. Nach meinem ersten Walmart-Besuch standen heute also auch gleich direkt drei erste Hunde-Sprints an. Zum Glück hatte ich Rückenwind!

Eignen sich wunderbar für unerwartete Sprint-Einheiten: Die wenig befahrenen Backroads
Eignen sich wunderbar für unerwartete Sprint-Einheiten: Die wenig befahrenen Backroads

Auf zu Joe und Libby

Ohne es richtig zu merken überquerte ich dann die Grenze zwischen Ohio und Indiana. Lediglich mein Garmin zeigte eine leichte gestrichelte Linie an. Außerdem änderte sich der Straßenname und der Belag wurde etwas grober. Jetzt war es nicht mehr weit bis zu meinem Tagesziel in Angola. Joe und seine Frau Libby, denen unter anderem der lokale Bike-Shop im Ort gehört, habe ich heute Morgen vor der Abfahrt noch über Warmshowers angeschrieben und auch hier sofort eine Zusage bekommen. Kurz vor meiner Ankunft schrieb mir Joe noch, dass er noch kurz laufen sei – und zufällig bin ich dann auch direkt den beiden begegnet.

Stadtrundfahrt und Familienabend

Nach einer kurzen Einführung ins sehr schicke Altbau-Haus, das sich die beiden erst vor einem Monat gekauft haben, und einer Dusche ging es direkt los: Joe und Libby zeigten mir ihren Fahrradladen, der auch ein Yoga-Zentrum beinhaltet, außerdem gehört den beiden die Pizzeria direkt am Dorfplatz. Hier wurde ich prompt von beiden auf Mozzarella-Sticks, Salat und Pizza Hawaii eingeladen. Im Anschluss ging es per Auto zu Libbys Bruder, der sich ebenfalls erst kürzlich das ehemalige Eltern-Haus zurückgekauft hatte und auch am Renovieren war. So lernte ich direkt die komplette Familie kennen und außerdem, wie Joe sagte, „the typical way Americans live“. Später zeigte mir Joe, der zusammen mit seiner Frau viel läuft und selbst auch Triathlon läuft, noch seine Zwift-Trainingsstation und seine Waffensammlung.

Tagesabschluss mit Eis

Später saßen wir noch im Wohnzimmer zusammen und Libby brachte mir nicht nur meine frisch gewaschene und getrocknete Wäsche, sondern auch noch einen riesigen Becher mit Eis. So saßen wir zusammen mit ihrem Sohn, der auch gerade erst von seinem ersten Jahr am College zurückgekehrt ist, vor dem Fernseher und schauten Saturday Night Live, Bob’s Burgers und den Anfang von Deadpool. Natürlich auf einem riesigen Fernseher. Auch sonst sind die beiden technisch sehr fortschrittlich ausgestattet: Das Licht in Küche und Flur wird per Stimme mit Amazons Echo aktiviert („Echo, turn on the kitchen!“) und sogar das Auto hat Wi-Fi. So viele Eindrücke, und ich komme immer noch nicht aus dem Staunen raus. Ich kann immer nur wieder betonen, wie hilfsbereit und gastfreundlich hier alle sind.

@Joe and Libby: Thank you again for your wonderful hospitality and all the experiences I could gain!

Die Etappe auf Strava

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